Entführung eines vietnamesischen Staatsangehörigen in Berlin

Erklärungen des Sprechers des Auswärtigen Amts in der Bundespressekonferenz vom 02.08.2017

Entführung eines vietnamesischen Staatsangehörigen in Berlin

SCHÄFER: Jetzt bin ich fast fertig; jetzt komme ich zu meinem vierten Punkt, den ich Ihnen gegenüber ansprechen möchte. Das möchte ich aber auch wirklich in aller Deutlichkeit tun. ‑ Nachdem sich im Laufe des gestrigen Tages und bereits über das Wochenende Hinweise verdichtet hatten und es jetzt keine ernsthaften Zweifel mehr über eine Beteiligung der vietnamesischen Nachrichtendienste und der Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam in Berlin an der Entführung eines vietnamesischen Staatsangehörigen in Berlin gibt, hat gestern der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Markus Ederer den Botschafter der Sozialistischen Republik Vietnam ins Auswärtige Amt einbestellt.

Die Entführung des vietnamesischen Staatsangehörigen Trịnh Xuân Thanh auf deutschem Boden ist ein präzedenzfallloser und eklatanter Verstoß gegen deutsches Recht und gegen das Völkerrecht. Dank der Aufmerksamkeit der deutschen Strafverfolgungsbehörden kam der Vorgang ans Licht. Inzwischen laufen dazu auch Ermittlungen bei den Berliner Strafverfolgungsbehörden.

Ein derartiger Vorgang hat das Potenzial, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam massiv negativ zu beeinflussen. Er ist gleichzeitig ein extremer Vertrauensbruch. Noch am Rande des G20-Gipfels haben hochrangige Vertreter der Bundesregierung auf Bitte der vietnamesischen Seite darüber gesprochen, in welcher Weise eine mögliche, von vietnamesischer Seite gewünschte Auslieferung des Mannes nach den Regeln der Rechtsstaatlichkeit geschehen könne.

Dies ist von Staatssekretär Ederer gestern dem vietnamesischen Botschafter in aller Klarheit und in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht worden. Wir haben ihm auch unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass wir verlangen, dass Herr Trịnh Xuân Thanh unverzüglich nach Deutschland zurückreisen kann, damit der vietnamesische Antrag auf Auslieferung, aber auch der Antrag auf Asyl dieses Mannes in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu Ende geprüft werden können.

Als Konsequenz aus diesem völlig inakzeptablen Vorgang werden wir den offiziellen Vertreter der vietnamesischen Nachrichtendienste an der Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam unverzüglich, und zwar jetzt, zur Persona non grata erklären und ihm 48 Stunden geben, Deutschland zu verlassen. Wir behalten uns vor, gegebenenfalls weitere Konsequenzen auf politischer, wirtschaftlicher sowie entwicklungspolitischer Ebene zu ziehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

FRAGE: Herr Dr. Schäfer, das ist ja nicht ganz mein Thema, und insofern kenne ich mich damit nicht wirklich gut aus, aber vielleicht könnten Sie das noch ein bisschen näher ausführen. Wenn es einen Asylantrag und ein Auslieferungsbegehren des Staates gibt, dann scheint das ja auch eine Vorgeschichte zu haben. Vielleicht können Sie uns noch ein bisschen weiterhelfen.

SCHÄFER: Es geht in der Sache darum, dass ein Staatsangehöriger der Sozialistischen Republik Vietnam nach Deutschland gekommen ist und hier einen Asylantrag gestellt hat, der in Bearbeitung ist. Der ist noch nicht beschieden worden. Diesem Mann werden vonseiten der vietnamesischen Justiz und vonseiten der vietnamesischen Regierung ernste Straftaten zur Last gelegt. Die vietnamesische Seite wünscht die Genehmigung der Auslieferung dieses vietnamesischen Staatsangehörigen aus Deutschland nach Vietnam. Auch da sind die politischen und justiziellen Verfahren im Gang.

Wir müssen davon ausgehen ‑ ja, wir sind sicher ‑, dass Stellen des vietnamesischen Staates hier in den letzten Tagen Handlungen vorgenommen haben, die sozusagen nur mit Begriffen des Strafrechts qualifiziert werden können: Menschenraub, Entführung, so etwas. Der Mann befindet sich, wie auch öffentlich bekannt ist, seit vorgestern wieder in Vietnam. Er ist also offensichtlich aus Deutschland, aus Europa, nach Vietnam zurückverbracht worden. Die Konsequenzen dieses Vorgehens der Sozialistischen Republik Vietnam habe ich Ihnen darzustellen versucht.

ZUSATZFRAGE: Hat die Einbestellung des Botschafters schon stattgefunden, oder wird das Gespräch noch stattfinden?

SCHÄFER: Ich hatte es bereits gesagt: Die Einbestellung hat gestern Nachmittag um 15 Uhr ‑ das hatte ich nicht gesagt ‑ stattgefunden. Dem Botschafter ist bedeutet worden, dass er bis heute Mittag um 12 Uhr, also vor 90 Minuten, Gelegenheit hatte, Stellung zu den Ausführungen zu nehmen, die Staatssekretär Ederer ihm gegenüber gemacht hat, und insbesondere unserer Forderung nachzukommen, den Mann wieder nach Deutschland zu verbringen. Beides ist ‑ sonst würde ich jetzt auch hier nicht mit Ihnen sprechen ‑ ganz offensichtlich nicht geschehen, Frau Wefers. Deshalb habe ich für die Bundesregierung, für das Auswärtige Amt und für den Außenminister diese ja sehr harsche, sehr drastische Konsequenz zu verkünden. Es ist schlicht inakzeptabel, dass ausländische Staaten auf deutschem Hoheitsgebiet unter deutscher Souveränität auf diese Art und Weise das deutsche Recht mit Füßen treten.

FRAGE: Herr Schäfer, können Sie uns sagen, wo sich das abgespielt hat? Können Sie möglicherweise auch sagen, was dem Mann seitens des vietnamesischen Staats bzw. der Justiz vorgeworfen wird? Können Sie sich erinnern, ob es so etwas schon einmal gegeben hat?

SCHÄFER: Ich glaube, die Örtlichkeiten helfen Ihnen jetzt nicht übermäßig weiter. Das ist ein Vorgang, der sich in Berlin abgespielt hat, in unserer Hauptstadt. Dem Mann werden, soweit wir das aus den Informationen von vietnamesische Seite wissen, Straftatbestände im Zusammenhang mit dem Verschwinden von hohen dreistelligen Dollar-Millionenbeträgen als langjähriger Chef eines staatlichen vietnamesischen Unternehmens zur Last gelegt.

FRAGE: Herr Schäfer, können Sie sagen, woher Sie Ihre Informationen über den Aufenthaltsort des Betroffenen beziehen? Haben Sie Kontakt zu ihm selbst oder zu Angehörigen oder Rechtsbeiständen?

SCHÄFER: Der Betroffene, der in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, ist gestern vor der vietnamesischen Öffentlichkeit in Haft genommen worden und hat, auch wenn ich es mir selbst nicht angeschaut habe, dem Vernehmen nach vor der vietnamesischen Öffentlichkeit gesagt, dass er sich freiwillig den vietnamesischen staatlichen Stellen gestellt habe.

FRAGE: Wenn ein Auslieferungsbegehren besteht, dann müsste derjenige ja wahrscheinlich zumindest in Haft sein oder der deutsche Staat müsste der Person auf irgendeiner Weise habhaft werden können. Wie verhält sich das denn?

SCHÄFER: Wenn es ein Auslieferungsersuchen für einen ausländischen Staatsangehörigen an die Bundesrepublik Deutschland gibt, dann ist Voraussetzung für die Genehmigung der Auslieferung durch die Bundesregierung eine Entscheidung des, meine ich, Oberlandesgerichts, jedenfalls außerhalb der Europäischen Union. Die zuständigen Richter entscheiden im eigenen Ermessen, ob solche Maßnahmen wie die Inhaftnahme zwecks Sicherstellung der Auslieferung erforderlich sind oder nicht. Das ist in diesem Fall, ohne dass das von der Bundesregierung zu kommentieren wäre, nicht geschehen.

Es gibt eben zwei Verfahren, die nebeneinander verliefen. Das eine ist das vietnamesische Auslieferungsersuchen, und das andere ist der Asylantrag dieses Mannes.

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/_ElementeStart/Sprecher.html?nn=438318